So musste es ja kommen. Kaum ist die WM zu Ende, herrscht bei mir tiefe Depression. Worüber schreiben? BamSfallera! Die Lösung! Nach der WM ist vor der WM! Keine Fußballerweisheit, sondern Realität in den aktuellen Seiten des angeblich meist zitierten Sonntagsblattes: Borowskis Hochzeit, Deislers neuester Seelenzustand, Kopfstoß- Ermittlungen, Intimes über den neuen Bundestrainer Jogi Löw, Vorschläge zum Weiterfeiern. Alles noch verzeihlich. Schließlich geht es um König Fußball! Nach der WM ist aber auch vor der Wahl, und so versucht das Boulevardblatt mit den vier Buchstaben sich die „schwarzrotgeile“ Stimmung zu Nutze zu machen, um den Frohsinn in ideologische Bahnen zu lenken. Angefangen bei einer eigens gestarteten Reihe mit dem Titel: Das Deutschland-Gespräch. Verstehe, wir sprechen also wieder mit unserem Land? Nein, über unser Land, okay. Die bamsfidele eigene Umschreibung der Interviewserie liest sich dann auch ähnlich pathetisch, wie es die millionenschwere Imagekampagne „Du bist Deutschland“ (und ich bin einkaufen) vorgab. Die Überschrift zum ersten Teil: “Wir sollten viel häufiger das Deutschlandlied singen“. Diese aus dem Interview zitierte Meinung von Autor Walter Kempowski ist eine Sache, die Aufmachung des gesamten Artikels eine andere: Neoliberalismus unter dem Deckmantel des Journalismus. Aufrütteln um jeden Preis, obwohl die Fußball-WM im eigenen Land vor allem eines gezeigt hat: Dass dies nicht nötig ist!
Dann auch noch ein als “knallhart“ präsentierter Insiderbericht: „Hartz IV – Ein Jobvermittler packt aus“. Aber nicht sein Butterbrot, sondern Geschichten über angeblich arbeitsunwillige ALG-II-Empfänger. Die Leidensgeschichte einer Woche im Leben eines Sachbearbeiters der Bundesagentur erzählt von Arbeitslosen, die Angebote verweigern oder Fortbildungen erschleichen. Da ist sie wieder, die Christiansensche Meinungsmache statt der Plasbergschen Aufklärung! Wahrscheinlich gibt es wirklich solche Fälle, wie sie geschildert werden, doch in welchem Verhältnis stehen diese zur Gesamtzahl der Arbeit Suchenden? Entscheidend auch, welches Menschenbild hier vermittelt wird, wenn ein Bericht so eingleisig und undifferenziert ausfällt. Das ist aber nicht grob fahrlässig, sondern gewollt. Abgesehen davon gibt es ebenso Berichte von Jobvermittlern, die aufzeigen würden, welche desaströsen und demotivierenden Arbeitsbedingungen innerhalb ihrer Behörde herrschen, die eine individuelle Vermittlung schwierig machen.
Aber wer Investigatives erwartet, hat natürlich nicht nur die WM verloren. Denn in den Zeitungen wird heute Politik gemacht: Da darf Bundeswirtschaftsminister Michael Glos als Gastkommentator ganz ungeniert für Kernenergie werben. Gruß an Otto Hahn.
Immerhin kann jeder Leser mit omnipotentem Zweiviertelwissen prahlen, sobald er sich durch die großen Buchstaben gekämpft hat: Michael Herbig gesteht, dass er zu Hause ein richtiger Spießer ist (nur zu Hause?), FDP-Generalsekretär Niebel will nie mehr Fallschirmspringen (Möllemann auch nicht) und Peter Hahne hat mal wieder „Gedanken am Sonntag“ (selbstredend meist ha(h)nebüchene). Ich feile ab heute auch nicht mehr an Sätzen, werde nicht mehr recherchieren, denn Bild-Gucker trinken mehr! Glucks! Besoffen von vielen Fotos und fetten Schriften, bin ich deutsch ein Stolzer zu sein! BamS dir deine Meinung!
[Kolumne, veröffentlicht 07/2006 über provinznest.de]

Hinterlasse einen Kommentar